Was Sie heute wissen müssen Frust wegen der AfD | Sorgen wegen des Wolfs | Scham wegen zwei Fußballfans

Joachim Braun
|
Eine Kolumne von Joachim Braun
| 11.10.2022 06:26 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
Artikel hören:
Artikel teilen:

Das Wichtigste aus der Region, jeden Morgen um 6.26 Uhr zusammengefasst von der Chefredaktion der Ostfriesen-Zeitung.

Am Tag danach ist der Jammer groß. Ostfriesland ist nicht nur eine traditionelle SPD-Hochburg, sondern seit dieser Landtagswahl auch eine Hochburg der AfD. Das scheint kein Widerspruch zu sein. In drei Ortsteilen von Südbrookmerland, in Moordorf, Münkeboe und Uthwerdum, kamen die Rechtsextremisten jeweils auf ein Viertel der Stimmen. In anderen ostfriesischen Gemeinden war die AfD zwar längst nicht so erfolgreich, die Ergebnisse lagen aber fast überall deutlich über dem Landesergebnis (10,9 Prozent). Ist also fast jeder fünfte Ostfriese über Nacht rechtsextrem geworden?

Gewiss nicht. Das Ergebnis zeigt vor allem, wie beunruhigt und verunsichert viele Menschen angesichts der Energiepreise und der Inflation sind und wie enttäuscht über die Lösungsansätze der etablierten Parteien. Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke (Berlin) nennt das AfD-Ergebnis im Interview mit Marion Luppen „einen schweren Schlag ins Kontor“ und „ein Alarmzeichen allererster Kajüte“. Dass die vom Verfassungsschutz beobachtete Partei die aktuellen Probleme zu lösen vermag, glaubt wohl auch keiner ihrer Wähler. Aber: „Es zeigt, dass in einer solchen Krisensituation die Leute auch im Westen rechten Populismus wählen.“

Mich persönlich überrascht das Abschneiden der AfD, die bekanntlich über gute Verbindungen nach Moskau verfügt, gar nicht. Zu spürbar ist das fehlende Vertrauen vieler Ostfriesen in die Politik. Dass die angebliche Alternative zwar Probleme benennt, aber keine Lösungen parat hat, spielt dabei keine Rolle. Das bestätigt sich auch in der Analyse von Mona Hanssen und Claus Hock. Zitat: „Es zeigt sich die Tendenz, dass teilweise in Stadtteilen wie Borssum, Barenburg, Port Arthur und Friesland, in denen große soziale Probleme vorliegen, für die AfD gestimmt wurde. Allerdings: Hier ist auch die Wählerbeteiligung teilweise sehr gering. Im Wahlbezirk Barenburg haben beispielsweise nur 26,33 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.“

Drittstärkste Partei war die AfD auch im Wahlkreis Wittmund-Inseln. „Das war abzusehen“, kommentierte AfD-Kandidat Achim Postert am Montagmorgen im Gespräch mit Imke Oltmanns das Ergebnis. In den letzten vier Wochen des Wahlkampfs sei der Zuspruch an den Wahlständen immer größer geworden. Er führte das auch auf die Bekanntheit der lokalen AfD-Mitglieder zurück: „Die Leute sehen, dass wir keine glatzköpfigen, Springerstiefel tragenden Nazis sind.“ Postert gehört zu jenen Kandidaten, die nicht auf der Liste stehen, sondern ohne jede Chance auf einen Sitz im Landtag angetreten waren. Aber für die AfD-Wähler war’s eh egal, wer kandidiert. Hauptsache Protest. Hoffen wir, dass sich der Spuk so schnell erledigt, wie er gekommen ist.

Wer sich die Ostfriesland-Ergebnisse der Landtagswahlen nochmal im Detail anschauen möchte, der klicke auf diesen Link. Dort haben die Digital-Kollegen nochmal alle Ergebnisse zusammengefasst, mit Grafiken, Videos und den Artikellinks.

Die neue niedersächsische Regierung wird aller Voraussicht nach rot-grün sein - aber nicht unbedingt nach dem Willen der ostfriesischen Wähler. Mit 11,2 Prozent hatten die Grünen im Wahlkreis Emden-Norden ihr bestes Ergebnis, weit weg von den 14,5 Prozent landesweit. „Es liegt nicht an Ostfriesland, es liegt grundsätzlich am ländlichen Bereich“, sagt Meta Janssen-Kucz, über die Liste wiedergewählte Borkumer Abgeordnete. In den urbanen Zentren seien die Grünen stärker, das gleiche die schlechteren Ergebnisse in der Fläche aus. Dabei seien die Grünen längst mehr als eine Umweltschutzpartei, sagt die Politikerin, die in den Koalitionsverhandlungen in Hannover für Soziales und Gesundheit zuständig sein wird. Daniel Noglik hat sich gestern mit ihr und anderen ostfriesischen Grünen unterhalten.

In den Gesprächen zwischen Grünen und SPD werden mit großer Sicherheit auch zwei große Straßenbauprojekte kontrovers diskutiert werden, die ohnehin umstrittene Küstenautobahn A 20 und die ebenfalls heftig diskutierte Umgehungsstraße B 210n, die im Kreis Aurich geplant ist. Sagt Meta Janssen-Kucz. Die SPD sieht das anders. Der wiedergewählte Wiard Siebels: „Eigentlich ist es durchaus nicht unüblich, dass Projekte, die sowieso schon laufen, weitergeführt werden.“ Wissen kann er dies natürlich nicht. Marion Luppen hat nachgefragt.

Auch ein Thema für die Landesregierung ist das Thema Ausbreitung der Wölfe. Am Wochenende erlegte der Räuber in Friedeburg zwei Rinder. Nicht der erste derartige Fall. Seit Anfang April wurden in den Landkreisen Wittmund und Friesland elf Rinder vom Wolf getötet oder schwer verletzt. Da in den meisten Fällen DNA von den Bissstellen gewonnen werden konnte, können einzelne Risse auch individuellen Wölfen zugeordnet werden. Jetzt muss eine DNA-Probe erweisen, ob der Wolf vielleicht jener sei, den das Umweltministerium zum Abschuss freigegeben hat, berichtet Imke Oltmanns.

Die Steinzeitmenschen, die vor 14.000 Jahren im heutigen Aurich-Sandhorst lebten, hatten solche Probleme zweifellos nicht. Damals war Ostfriesland noch eine karge Kältesteppe. Zwar eisfrei, aber kalt und trocken wie die Mongolei heute. Jäger waren offenbar einer Herde Rentiere oder Pferde auf der Spur. Mit hoch entwickelten Waffen. Die ausgegrabenen Pfeilspitzen waren dreikantig: Eine Seite mit zwei nebeneinanderliegenden Kanten ist stumpf, die andere dafür umso schärfer. Nicole Böning ließ sich von Dr. Jan Kegler, Archäologe der Ostfriesischen Landschaft, in die Geheimnisse der Grabungsstätte einweihen.

Vermutlich waren unsere Vor-Vorfahren aber zivilisierter als zwei Fußballfans kürzlich in Emden, nach dem C-Klassen-Derby zwischen den Herren und der U23 von FT 03 Emden. Doch über den 3:2-Erfolg seiner U23 konnte sich deren Trainer nicht lange freuen: Nach dem Spiel wurde er von zwei alkoholisierten Zuschauern beleidigt und bespuckt. Die Krummhörner Pöbler ließen sich auch von den FT-Verantwortlichen nicht bändigen, so dass es zu einem Polizeieinsatz auf dem Sportplatz kam. Georg Lilienthal erzählt die Geschichte von zwei ungehobelten Burschen, die aller Voraussicht nach nicht genug Grips haben, um, wenn sie vor 14.000 Jahren gelebt hätten, ein Rentier erlegen zu können.

Was heute wichtig wird:

  • In Leer startet auf dem Gelände rund um die Ostfrieslandhalle der traditionelle Galli-Viehmarkt. Michael Kierstein ist dabei, wenn Viehändler nach alter Sitte feilschen.
  • Seit einiger Zeit gibt es spezielle Omikron-Impfstoffe. Tobias Rümmele berichtet, wie gut das Angebot im Landkreis Leer angenommen wird und für wen vor der beginnenden Herbstwelle eine Impfung ratsam ist.
  • Die Sparkasse Leer-Wittmund sorgte mit der Ankündigung von Filialschließungen für viel Kritik. Reporterin Vera Vogt gab Fragen unserer Leserinnen und Leser an die Bank weiter.
  • Die Staatsanwaltschaft Aurich legt einer heute 28 Jahre alten Esenserin Brandstiftung an einem Mehrfamilienhaus zur Last. Es entstand ein Sachschaden von rund 300.000 Euro. Bettina Keller berichtet.
  • Die Tourismusagentur Nordsee nimmt Struktur an. Bei der Gelegenheit: Wie sieht es aus im Küstentourismus angesichts der steigenden Energiekosten? Imke Oltmanns fragt nach.
  • Ein Bunker in bester Emder Lage wird verkauft. Der Makler macht dafür Werbung, dass dort Wohnungen und eine Gastronomie entstehen. Doch so einfach ist das laut Stadt nicht. Mona Hanssen erklärt, warum.
  • Mehrere Wochen lang war eine Emderin im Bikini auf Apple Maps zu sehen. Nun ist der Bereich gepixelt. Wie hat sie das geschafft? Claus Hock schaut sich den Weg dahin genauer an.
  • Im Krummhörner Dorf Campen macht man sich auf, das Dorfleben auf ganz neue Beine zu stellen. Michael Hillebrand hat mit den dahintersteckenden Vereinen gesprochen.
Ähnliche Artikel