OZ-Weihnachtsaktion „Ich habe gehofft, dass mich keiner sieht“

Nora Kraft
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Von Nora Kraft
| 23.12.2022 19:33 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 6 Minuten
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Elfriede Haan ist seit vielen Jahren Kundin beim Brotkorb Rheiderland und im Sozialen Kaufhaus in Weener. Foto: privat
Elfriede Haan ist seit vielen Jahren Kundin beim Brotkorb Rheiderland und im Sozialen Kaufhaus in Weener. Foto: privat
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Elfriede Haan schämte sich erst, beim Brotkorb Rheiderland einzukaufen. Heute hilft sie in der Küche mit.

Weener - Bevor sie zum ersten Mal zur Lebensmittelausgabe ging, musste sie lange überredet werden. Nachdem Elfriede Haan ihre Scham überwunden hatte, ging sie regelmäßig zum Brotkorb Rheiderland. Heute hilft die 52-Jährige hinter den Kulissen mit. Seit vielen Jahren nimmt Haan nun schon das Angebot der sozialen Einrichtung wahr.

Der Brotkorb verteilt, wie die Tafeln, Lebensmittel an bedürftige Menschen. Haan geht dort seit etwa neun Jahren einkaufen. Anfangs noch mit ihrem Lebensgefährten. „Und das hat uns immer gut weitergeholfen“, sagt Elfriede Haan mit heller, freundlicher Stimme.

Speisen für Mitarbeiter und Helfer zubereiten

Sie erhielt damals Arbeitslosengeld 2. Ihr Lebensgefährte habe sie zu Beginn ermutigen müssen, ihn zum Brotkorb zu begleiten. Er ging dort die erste Zeit alleine einkaufen. „Ich sagte damals klar: ‚Nein, da gehe ich nicht mit‘“, erzählt Haan. „Ich habe mich wirklich geschämt.“ Ihr Lebensgefährte habe ihr gesagt, sie solle es sich doch einfach mal angucken. „Also bin ich schließlich mit und hängengeblieben“, sagt Haan und lacht.

Heute hilft sie an vier Tagen in der Woche in der Küche des Sozialen Kaufhauses in Weener aus. Das Kaufhaus ist an den Brotkorb angegliedert. In der Küche werden Frühstück und Mittagessen für die Angestellten und ehrenamtlichen Helfer der Einrichtung zubereitet. Allerdings habe sie der Weg zur Ausgabestelle die ersten Male Überwindung gekostet, sagt Haan. „Ich stand in der Reihe und habe gehofft, dass mich keiner sieht“, erzählt sie. Aber je öfter sie zur Ausgabe kam, desto besser gefiel es ihr mit der Zeit. „Und ich habe auch gemerkt, dass es uns wirklich weiterhilft“, sagt sie. Denn das Arbeitslosengeld sei nicht hoch. Elfriede Haan kommt ursprünglich aus Möhlenwarf. „Mein Lebensgefährte und ich hatten zwei Hunde. Wir suchten ein Grundstück mit Haus zur Miete.“ Das haben sie in Stapelmoor gefunden. Noch heute lebt sie dort. Der Lebensgefährte von Elfriede Haan ist vor vier Jahren gestorben. Er hatte Krebs.

Anfeindungen beim Gassigehen

Haan ist stark eingeschränkt. Sie kann nur sehr wenig sehen, ihre Augen funktionierten schlecht. Durch ihre Diabetes-Erkrankung kommen weitere Beeinträchtigungen hinzu. Bereits mehrere Zehen mussten ihr abgenommen werden. Nach der letzten Operation sei der Fuß schlecht verheilt. Im kommenden Jahr soll ihr ein Bein abgenommen werden. Jeden Tag bekomme sie Unterstützung von der Diakonie: Verbände wickeln, Insulin spritzen und Tabletten bereitstellen. Ihre Tochter helfe ihr beim Duschen. Alle 14 Tage kommt eine Haushaltshilfe, auch im Garten erhält sie Unterstützung. „Ich kann das heute alles nicht mehr“, sagt sie. Als ihr Lebensgefährte starb, sei sie im Sozialen Kaufhaus angesprochen worden, ob sie nicht Lust habe, dort zu arbeiten. „Sodass ich eine Beschäftigung habe und nicht ins Grübeln komme“, sagt die 52-Jährige. Anfangs wollte sie nur an zwei Tagen in der Woche aushelfen, später kam sie täglich. Haan half jedoch nicht gleich zu Beginn in der Küche aus. „Ich sollte Kleider von der oberen Etage runterholen und im Kaufhaus einsortieren. Ich war aber sehr korpulent.“ Die Arbeit mit den schweren Kartons sei ihr schwer gefallen. Also fing sie in der Küche an. Den Wechsel schlug eine Helferin vor. Mit ihr entstand eine feste Freundschaft, die sich bis heute hält. Aufgrund ihrer schlechten Sehkraft fallen für Haan in der Küche nun eher kleinere Aufgaben an. Sie schält zum Beispiel Kartoffeln oder wäscht ab. „Ich mache das, was ich mit den Augen noch gut kann“, erklärt sie.

Verletzende Kommentare, weil sie beim Brotkorb einkauft, habe Haan schon auf offener Straße hören müssen, erzählt sie. Ein Erlebnis ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben: „Ich hatte zwei große Hunde, mit denen ich spazieren ging. Da sagte ein Mann zu seiner Frau, die auf Fahrrädern an mir vorbeifuhren: ‚Guck mal, zwei dicke Hunde an der Leine, aber geht zum Brotkorb.‘ Das war schon manchmal heftig. Aber da habe ich dann drüber gestanden.“

Gemeinschaft und Ablenkung

Sie habe in all den Jahren, in denen sie schon in der sozialen Einrichtung einkaufen gehe und selbst hinter den Kulissen tätig sei, viele Erfahrungen sammeln und einiges über sich lernen können, sagt Haan. „Ich bin der Typ, der sich schnell auf den Schlips getreten fühlt und dann auch mal wie eine Rakete hochgehen kann. Ich habe zum Beispiel für mich gelernt, dass ich etwas runterfahren und meine Ohren auch mal auf Durchzug stellen muss“, sagt sie. Die Lebensmittel, die Haan als Kundin beim Brotkorb jahrelang erhielt, rechnete sie immer fest in der Woche ein. Sie geht auch heute noch zur Ausgabe, nur nehme sie derzeit weniger Lebensmittel mit. Denn von Montag bis Donnerstag isst sie im Sozialen Kaufhaus mit den anderen Helfern. Dinge wie Brot oder Getränke kaufe sie hin und wieder dazu. Insbesondere, wenn ihre Enkelkinder an den Wochenenden bei ihr sind. „Die haben nämlich bestimmte Wünsche“, sagt sie und lacht. Wie eine Tüte Chips oder Wiener Würstchen – Letztere esse ihr Enkel besonders gern. Wenn Elfriede Haan von ihrem Enkel und ihrer Enkelin spricht, leuchten ihre Augen. „Für meine Enkelkinder tue ich alles“, sagt die 52-Jährige. Verstehen sie, warum ihre Oma zum Brotkorb geht? „Mein Enkelsohn kommt öfter mit mir zur Ausgabestelle, in die Küche und in die Aufenthaltsorte vom Sozialen Kaufhaus.“ Der Neunjährige habe sie schon gefragt, warum sie dort einkaufe. „Dann habe ich ihm es einfach so erklärt, wie es ist. Das hat er dann verstanden“, sagt sie. Ihr Enkelsohn freue sich immer, wenn er mit zur Einrichtung gehen dürfe, zum Beispiel in den Ferien. Seine Schwester ist fünf Jahre alt. Sie sei noch zu klein, um ihre Situation zu verstehen, sagt Haan.

Die Arbeit mache ihr viel Spaß. Ständig lerne man neue Menschen kennen, sagt Haan. „Zurzeit kann ich nicht alleine aus dem Haus. Ich bin froh, wenn ich hier bin und alle durcheinanderreden, dann denke ich nicht darüber nach, was nächstes Jahr passiert“, sagt sie. Der Gedanke an die Zukunft mache sie fertig, fährt sie fort. „Die Stromkosten steigen. Da knapse ich auch dran. Ich versuche schon immer, ein bisschen zu sparen. Jetzt im Dezember kommt die dicke Gasabrechnung.“ Kleider besorge sie im Sozialen Kaufhaus. „Da habe ich schon super tolle Sachen gekauft. Eine gebrauchte Hose... Na, und? Die spüle ich durch, das sieht keiner“, sagt Haan.

Ein Leben ohne die Einrichtung könne sie sich nicht mehr vorstellen. Sie schätzt die Gemeinschaft. „Der eine erzählt hiervon, der andere davon, oder man tauscht sich aus. Das ist echt toll. Ich möchte es nicht mehr missen.“

So können Sie spenden

Jeder Euro hilft den Einrichtungen in Ostfriesland, die bedürftige Menschen mit Lebensmittel-Spenden unterstützen. Wer spenden möchte, kann dies per Überweisung unter dem Stichwort „OZ-Weihnachtsaktion 2022“ tun. Die Bankverbindung lautet: Ein Herz für Ostfriesland gGmbH, IBAN DE28 2859 0075 0011 1112 01, Ostfriesische Volksbank eG.

Es kann außerdem via Paypal gespendet werden. Alle Informationen gibt es auch auf der Internetseite von „Ein Herz für Ostfriesland“ .

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