Mein Lieblingsartikel 2023 Kein Sex-Betrieb mehr in Wittensand

Astrid Fertig
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Von Astrid Fertig
| 30.12.2023 08:33 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 8 Minuten
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Die bekannteste Ortsansicht der Bauerschaft Wittensand im Nordkreis Cloppenburg: Der Klinkerbau der Bambi-Bar an der Bundesstraße 438, der Wittensander Straße, gegenüber dem Wegekreuz an der Kreuzung der Straße Zum Möhlenkamp, der dort seit beinahe 100 Jahren steht und 2011 von der Dorfgemeinschaft erneuert worden ist. Foto: Fertig
Die bekannteste Ortsansicht der Bauerschaft Wittensand im Nordkreis Cloppenburg: Der Klinkerbau der Bambi-Bar an der Bundesstraße 438, der Wittensander Straße, gegenüber dem Wegekreuz an der Kreuzung der Straße Zum Möhlenkamp, der dort seit beinahe 100 Jahren steht und 2011 von der Dorfgemeinschaft erneuert worden ist. Foto: Fertig
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Die Bambi-Bar in Wittensand ist geschlossen. Auch im Bordell Men‘s Paradise in Langholt, ein paar Kilometer weiter, ist tote Hose. Wo in der Region wird noch Sex-Gewerbe betrieben? Eine Spurensuche.

In erster Linie habe ich diesen Text ausgesucht, weil mir die Recherche Spaß gemacht hat. Es war klassisches Journalistenhandwerk. Der Anstoß kam nicht von außen, sondern ich habe das Thema aufgegriffen und Leserinnen und Leser mitgenommen. Gemeinsam wandern wir die Lokalitäten ab, und die Geschichte entfaltet sich. Das Thema ist ebenfalls ein Klassiker. Prostitution ist ein Schlüssellochthema. Viele Leute interessieren sich dafür, auch wenn sie nie im Leben ein Bordell aufsuchen würden. So ging es auch mir - nur, dass ich meiner Neugier beruflich bedingt freien Lauf lassen konnte. Der Artikel erschien erstmals am 22. Mai 2023.

Wittensand / Langholt / Burlage - Mit Wittensand, einer Bauerschaft im Norden des Landkreises Cloppenburg, verbinden viele Menschen in erster Linie die Bambi-Bar. Das Nachtlokal liegt direkt an der Bundesstraße 438, die mit den Straßen Zum Möhlenkamp und Eichenweg die zentrale Kreuzung des 300-Seelen-Ortes bildet.

Im Haus waren auch schon Schule und Laden

Auf Google Maps ist die Bambi-Bar namentlich verzeichnet, verbunden mit dem Bild eines Cocktailglases. Doch tatsächlich ist das Nachtlokal geschlossen. „Nach den der Gemeinde vorliegenden Informationen wurde der als Bambi-Bar bekannte, gastronomische Betrieb seit 1. September 2021 gewerberechtlich abgemeldet“, teilt dazu die Gemeinde Saterland auf Nachfrage mit.

Der Backsteinbau an der Wittensander Straße diente im Lauf der Zeit unterschiedlichen Zwecken als Gaststätte, Bäckerei und Krämerladen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dort die Schule untergebracht. Irgendwann, nachdem der Tante-Emma-Laden geschlossen worden war, wurde das Haus zur Bambi-Bar.

Seit 2010 seien im Saterland drei Gewerbe mit der Tätigkeit „Hostess“ angemeldet gewesen – zwei davon hätten zur Bambi-Bar gehört, teilt die Gemeinde Saterland mit. Aktuell seien diese jedoch alle abgemeldet und in der Gemeinde kein Betrieb mit vergleichbaren Tätigkeiten gemeldet. Seit Juli 2017 gilt in Deutschland ein neues Prostituiertenschutzgesetz. Damit verbunden ist eine Anmeldepflicht für Prostituierte. Wie Kreissprecher Frank Beumker mitteilt, befinden sich im Kreis Cloppenburg vier Prostitutionsstätten: in Bösel, Emstek, Lastrup und Löningen. In Bösel seien „in der Regel zwei bis drei Prostituierte tätig, in Emstek eine bis zwei Prostituierte, in Lastrup zwei bis drei und in Löningen drei bis vier“, zählt Beumker auf. Die meisten arbeiteten im gesamten Bundesgebiet an mehreren Standorten, daher würden sie wöchentlich wechseln. „Außerhalb dieser Stätten sind uns keine weiteren Standorte bekannt, wo der Prostitution nachgegangen wird.“

Kein Sex-Betrieb im Nordkreis Cloppenburg

Für die Stadt Friesoythe teilt Katrin Schäfer auf Nachfrage mit, dass es dort keine Betriebsstätten gibt, die der Prostitution dienen. Es hätten auch keine Einzelpersonen ein derartiges Gewerbe angemeldet.

Auch in Barßel sind, wie Bürgermeister Nils Anhuth ausführt, dem Rathaus „keine Betriebe und Personen in der Gemeinde bekannt, die der Prostitution nachgehen“. Bei dieser Gelegenheit schildert Barßels Bürgermeister sein ganz persönliches Bambi-Bar-Erlebnis: Als er mit dem lokalen Schalke-Fanclub, den Fehntjer Knappen, ein Jubiläum feierte, habe man diese Sause, an der rund

70 Leute beteiligt waren, ins Kulturhaus nach Wittensand verlegt. „Kulturhaus“ ist der wohlklingende Name für die Partyhütte, die die Wittensander auf einem Areal an der Bundesstraße 438 für ihre Dorfgemeinschaft errichtet haben.

Wittensand für viele mit der Bambi-Bar verbunden

Als Anhuth ein Taxi bestellte, und versuchte, der Taxi-Zentrale zu erklären, wohin der Fahrer kommen müsste, konnte man dort mit der Örtlichkeit „Kulturhaus Wittensand“ nichts anfangen. Weil Wittensand überschaubar ist, und sich das Grundstück mit der Partyhütte direkt neben dem mit der Bambi-Bar befindet, erscholl in der Taxi-Zentrale schlicht das Kommando: „Taxi für Anhuth zur Bambi-Bar!“ Womit wieder deutlich wird, wie sehr der Begriff Bambi-Bar verbunden ist mit dem Ort Wittensand. Auch wenn jetzt nur noch die Schilder in den Schaufenstern auf die einstige Funktion als Amüsierstätte verweisen. Wo gibt es in der Region eigentlich noch Lokalitäten, in denen sexuelle Dienstleistungen angeboten werden? Eine Spurensuche.

Der Schriftzug „Bambi-Bar“, der in Rot auf den abgedunkelten Schaufenstern des Hauses an der Bundesstraße 438 in Wittensand steht, ist abgeschrabbelt. Vergilbt sind die Spruchbänder „gemütlich...diskret...charmant“ und das namensgebende Rehkitz an den Giebeln. Die Narzissen am Haus sind verblüht.

Klingeln ist sinnlos, das Haus ist leer

Bambis hängen auch am Troddelvorhang im Eingang, der Gäste vor den Blicken derer schützen soll, die auf der Bundesstraße 438 an der einzigen Kreuzung im Ort vorbeirauschen. Hinter dem Vorhang verbergen sich zwei Türen. Herbstlaub liegt in den Ecken. Von der Decke hängen Spinnweben neben einer nackten Glühbirne. Eine Karte weist aus, dass hier die Flasche Bier 4 Euro kostete. Kurze waren für 3 Euro zu haben, ein Piccolo für 16 Euro. Die Flasche Sekt kostete 104 Euro, roter Sekt noch einen Fünfziger obendrauf.

Die Eingangstür hinter dem Troddelvorhang bleibt verschlossen: Die Konzession für das Nachtlokal Bambi-Bar in Wittensand wurde im September 2021 abgemeldet. Der Name der Bar steht bloß noch am Gebäude. Sex-Gewerbe wird dort nicht mehr ausgeübt. Foto: Fertig
Die Eingangstür hinter dem Troddelvorhang bleibt verschlossen: Die Konzession für das Nachtlokal Bambi-Bar in Wittensand wurde im September 2021 abgemeldet. Der Name der Bar steht bloß noch am Gebäude. Sex-Gewerbe wird dort nicht mehr ausgeübt. Foto: Fertig

Auf dem Klingelschild steht statt eines Namens einfach „Bar“. Über der Türklinke fordert ein weiteres Schild auf „Bitte klingeln“. Doch das ist sinnlos. Das Haus ist leer. Die Frauen, die dort gearbeitet haben, sind alle weg. Seit anderthalb Jahren ist die Bambi-Bar geschlossen.

Maserati setzt sich in Bewegung

Doch hinter dem Haus stehen Autos. Eine zierliche Frau im besten Alter kommt aus dem Gebäude. Freundlich fragt sie nach dem Begehr und stellt sich als ehemalige Betreiberin des Nachtlokals vor. Bis 1996, erzählt sie, habe sie die Bambi-Bar geführt. Ob ihr das Haus gehört, möchte sie nicht verraten, sagt sie verschmitzt, setzt sich ins Auto und fährt davon.

Die Frau, die das Wittensander Nachtlokal zuletzt geführt hat, wohnt eine Tür weiter in einem sehr gepflegten Einfamilienhaus. Vor dem Eingang erfreut ein Pflanzkübel mit blühenden Stiefmütterchen das Auge. Ein großer, schwarzer Maserati parkt vor dem Haus. „Welcome“ grüßt ein Schild an der Haustür.

Doch auch hier tut sich nach dem Klingeln nichts. Als die Reporterin wieder im Auto sitzt, um Wittensand zu verlassen, steht plötzlich der Maserati hinter ihr. An der einzigen Kreuzung Wittensands entschwindet der Wagen in Richtung Strücklingen. Niemand ist da, der willens wäre, Antworten zu geben auf die Frage, warum am Haus anderthalb Jahre nach Aufgabe des Bar-Betriebs noch immer plakativ der Name Bambi-Bar auf allen Außenwänden steht.

Privatclub kurz hinter der Kreisgrenze

Das nächste Nachtlokal ist nur ein paar Kilometer weiter, allerdings jenseits der Kreisgrenze: Der Club Men‘s Paradise in Langholt liegt in der Gemeinde Ostrhauderfehn und gehört zum Landkreis Leer.

Der Club Men‘s Paradise in Langholt liegt in der Gemeinde Ostrhauderfehn und gehört zum Landkreis Leer. Doch auch dieses Nachtlokal ist laut Eigentümer geschlossen. Foto: Fertig
Der Club Men‘s Paradise in Langholt liegt in der Gemeinde Ostrhauderfehn und gehört zum Landkreis Leer. Doch auch dieses Nachtlokal ist laut Eigentümer geschlossen. Foto: Fertig

Der Privatclub an der Kreuzung der Landesstraße 30 mit dem Leda-Jümme-Weg trägt nicht nur seine Hausnummer 61 auffällig auf gelbem Grund, flankiert von der Silhouette einer Frau in High-Heels. Große Werbeflächen auf der Einfriedung des Gebäudes, in dem früher die Diskothek Töff-Töff war, weisen auf dessen Zweck hin. Das Men’s Paradise wirbt mit „Shisha-Lounge, Party-Events, Heiße Girls & Coole Drinks“ sowie „100 Prozent Diskretion“ und verspricht „Neueröffnung nach Corona“. Geparkt wird nach hinten ‚raus. Schilder zeigen dem Fremden den Weg. Vor dem Haus steht ein weißer Benz. Aus dem Fenster im ersten Stock beugt sich eine Frau. Sie erklärt, dass man sich auf Privatgrund bewege. Das Men’s Paradise sei geschlossen. Die Werbung am Zaun sei „alte Reklame“. Ihr Mann wolle das Haus vermieten oder verkaufen.

Als „Nachtclub mit Konzession“ im Internet

Tatsächlich ist das 1963 errichtete Anwesen im Internet für 995.000 Euro im Angebot. Angepriesen wird das Objekt als „Nachtclub mit Konzession“. Neben „großzügigen Räumlichkeiten des Barbetriebes gibt es vom Keller bis zum Obergeschoss zahlreiche individuelle Vergnügungsmöglichkeiten. Diverse Highlights, wie die Beachparty im Strandkorb bis zum Sauna-Event in zwei Blockhäusern“, wird das Potenzial beschrieben. „Auf dem riesigen Areal, das ringsum mit Sichtschutzwänden umgeben ist, sind reichlich Parkplätze und verschlungene Wege, die Diskretion gewährleisten“.

Wer ein Nachtlokal sucht, in dem tatsächlich Frauen im Sexgewerbe tätig sind, muss noch ein paar Kilometer weiter fahren. An der Landesstraße 16 in Burlage, Gemeinde Rhauderfehn, liegt die Ramona-Bar.

Explizite Fotos auf der Homepage

Vor einem schmucken Rotklinkerbau weisen etliche Werbeflächen auf das Motto des Hauses hin „Sie kommen als Fremder und gehen als Freund“. Geöffnet sei täglich ab 11 Uhr. Bei der Werbung setzt man in Burlage auf den verführerischen weiblichen Augenaufschlag.

Expliziter sind die Fotos auf der Website der Ramona-Bar. Im Internet werden die „Clubgirls“ in Wort und Bild vorgestellt, mit Alter und Körbchengröße, mehr – und vor allem weniger bekleidet. Einblicke in die Schlafzimmer werden gewährt, der Whirlpool gezeigt, auf das „Parken im Innenhof mit Sichtschutz“ hingewiesen.

An der Landesstraße 16 in Burlage, Gemeinde Rhauderfehn, liegt die Ramona-Bar. Dort wird gewerblicher Sex angeboten. Foto: Fertig
An der Landesstraße 16 in Burlage, Gemeinde Rhauderfehn, liegt die Ramona-Bar. Dort wird gewerblicher Sex angeboten. Foto: Fertig

Das Haus an der Straße ist anderweitig vermietet, wie sich herausstellt. Die Bewohnerin hält einen wehrhaft wirkenden Hund zurück, der nach dem Klingeln energisch bellt.

Ein Piccolo kostet 26 Euro

Die Ramona-Bar, ein weißer Bungalow, liegt weiter hinten. Dort kosten Kurze ebenfalls 3 Euro, wie die Karte am Eingang ausweist. Ein Piccolo ist für 26 Euro zu haben. Eine Frau tritt aus der Tür. Sie stellt sich freundlich als Thekenkraft vor. „Bardame“ sei sie, sagt sie und erklärt, sie kümmere sich um die Mädchen. Der Betrieb laufe. Ob mehr Kunden kommen, als vor der Pandemie, die der Bambi-Bar den Garaus machte, kann die Frau nicht sagen. So lange arbeite sie hier noch nicht.