Mein Lieblingsartikel 2023 Zu fit fürs Altenheim – Senioren ziehen zusammen

| | 27.12.2023 08:37 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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So mancher Schnack findet bei Kaffee oder Tee in der WG statt. Die Bewohner (sitzend, von links) Jens Praßel, Frank Schmidtke, Hans-Friedrich Haberts, Birgit Wilken und Frank Lange werden von Kerstin Kulke (stehend, von links) und den Haushaltsfeen Lisa Münk und Sabrina Gerdes unterstützt, wo es notwendig ist. Fotos: Ullrich
So mancher Schnack findet bei Kaffee oder Tee in der WG statt. Die Bewohner (sitzend, von links) Jens Praßel, Frank Schmidtke, Hans-Friedrich Haberts, Birgit Wilken und Frank Lange werden von Kerstin Kulke (stehend, von links) und den Haushaltsfeen Lisa Münk und Sabrina Gerdes unterstützt, wo es notwendig ist. Fotos: Ullrich
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Kerstin Kulke hat in Friedeburg eine Wohngemeinschaft für Senioren mit Pflegegrad gegründet. Für sie ist es ein Herzensprojekt, das Menschen zusammenbringt.

Was wird aus mir, wenn ich einmal alt und/oder auf Hilfe angewiesen bin? Diese Frage stelle auch ich mir. In Friedeburg habe ich eine wunderbare und außergewöhnliche WG entdeckt, die mich mit ihrer Gemeinschaft berührt hat. Und die etwas bietet, was es viel häufiger geben sollte. Der Artikel ist erstmals am 24. Januar 2023 erschienen.

Friedeburg - „Hier ist es immer lustig“, sagt Birgit Wilken. Während die 60-Jährige das sagt, wuseln die beiden Hunde Joey und Milo um ihren Rollstuhl herum und buhlen um den Platz auf ihrem Schoß. Als sie sich zu ihren Mitbewohnern an den Tisch gesellt, sitzen dort schon Jens Praßel (57 Jahre), Frank Lange (56) und Hans-Friedrich Haberts (63). Und Frank Schmidtke. Der 60 Jahre alte Bockhorner wird demnächst auch in die Wohngruppe (WG) Am Park in Friedeburg einziehen. Nach dem Tod seines Partners möchte er nicht mehr länger in seinem 140 Quadratmeter großen Haus bleiben. „Es ist furchtbar, in so einem großen Haus so allein zu sein“, spricht er offen aus, was vermutlich viele Menschen mit zunehmendem Alter beschäftigt.

Anstatt sich auf ein Leben allein einzurichten, packt er derzeit die Koffer. Nach und nach löst er den Haushalt auf. „Ich will es ganz langsam angehen lassen.“ Zu viel gibt es noch zu klären. Aber er freue sich auch auf den Neubeginn. Mit ihm zieht auch seine Beaglehündin ein. „Das Wichtigste war, dass ich die Sisy mitnehmen kann.“ Es harmoniert zwischen ihm und seinen neuen Mitbewohnern. Und auch die drei Hunde mögen sich. Im März wird er ganz einziehen. Genau ein Jahr nach der Gründung der WG ist die Gruppe damit vorerst komplett. Im März 2022 war Habers, von seinen Mitbewohnern nur Fidi genannt, der erste. Kurz darauf zog Wilken ein. Fünf der sechs Bewohner kommen aus Müggenkrug, Wiesmoor, Zetel oder Großefehn. Sie haben eine Pflegestufe, manche auch einen Betreuer. Allein Torma Ostapenko aus der Ukraine bildet die Ausnahme: Die 60 Jahre alte Frau zog nach dem Ausbruch des Krieges mit anderen Ukrainerinnen ein. Kulke wollte helfen und nahm Frauen und Kinder auf. Die jüngeren Frauen zogen weiter. Ostapenko blieb.

Eine Gemeinschaft, die sich gefunden hat

Zusammengebracht hat diese Menschen Kerstin Kulke. Die Hauswirtschaftsmeisterin aus Brockzetel machte sich vor dreieinhalb Jahren mit ihrem Unternehmen „Moi Maker“ selbstständig. Sie und ihre Mitarbeiter bieten hauswirtschaftliche Dienstleistungen an. Die gehören auch zum Konzept der Senioren-Wohngemeinschaft Am Park. Für die Pflege aber kommen ambulante Pflegedienste ins Haus – wie es in im früheren Zuhause der Bewohner auch der Fall war. Wochentags sind stundenweise Hauswirtschafterinnen vor Ort, die sich um die Belange der Bewohner kümmern und beispielsweise das Mittagessen zubereiten. „Sie mögen gern Hausmannskost“, erklärt Sabrina Gerdes lachend. Mit moderner, leichter Kost könne man hier keine Herzen im Sturm erobern. Wer bei der Zubereitung helfen will, tut das. „Jeder so, wie er kann.“

Hans-Friedrich Haberts wollte gern Hühner halten. Jetzt bekommen die Mitbewohner seiner WG täglich frische Frühstückseier serviert.
Hans-Friedrich Haberts wollte gern Hühner halten. Jetzt bekommen die Mitbewohner seiner WG täglich frische Frühstückseier serviert.

Nachmittags, abends und an den Wochenenden sind die Senioren auf sich allein gestellt: Dann sind die Aufgaben klar verteilt. Jeder tut das, was er kann. Was der Einzelne, beispielsweise aufgrund einer Behinderung, nicht schafft, erledigt ein anderer für ihn. „Das muss sich selber finden“, sagt Birgit Wilken. Sie führt das Haushaltsbuch für ihre Gemeinschaft. Hans-Friedrich Haberts hingegen ist gern draußen im Garten und in der Werkstatt. Er kümmert sich um acht Hühner. „Ich wollte gern Hühner haben.“ Nun gibt es jeden Morgen frische Eier für die WG. Haberts sorgt zudem dafür, dass immer genügend Brennholz für den Kamin im Wohnzimmer vorhanden ist. „Fidi ist die Seele des Hauses“, verrät Kerstin Kulke.

Die Idee ließ sie nicht mehr los

Kulke fand, dass das Altwerden in einer familiären Gemeinschaft wie dieser WG einfach schöner sein muss als allein. Seit Corona habe die 42-Jährige eine zunehmende Vereinsamung vieler alleinstehender Menschen bemerkt. Ihre Mitarbeiter oder Pflegedienste seien für manche Senioren die einzigen Sozialkontakte. Fürs Heim aber sind die oft noch zu fit, unterstreicht Kulke. Mit der Entdeckung des 360 Quadratmeter großen Hauses in Friedeburg kam eins zum anderen: Die Idee einer Wohngruppe ließ Kulke nicht mehr los. Sie schrieb ein Konzept, versicherte sich der Unterstützung ihrer Familie, kaufte das Haus, richtete es ein. „Es ist wirklich ein Herzensprojekt.“

Schon während der Vorbereitungen merkte sie: „Ein Wohngruppe ist eine Lücke.“ Es gibt viel zu wenig individuelle Wohnformen für Ältere, meint Kulke. Das zeigten die vielen Anfragen von älteren Alleinstehenden, vorrangig ohne Pflegegrad. Die Senioren-WG im Haus am Weidenweg in Veenhusen beispielsweise gibt es seit drei Monaten. Sie ist die erste im Moormerland. Auch im Kreis Leer gibt es vereinzelt Angebote für Senioren, doch längst sind diese nicht flächendeckend zu finden. In Friedeburg ist es die erste. Für Kerstin Kulke ist die Selbstbestimmtheit ihrer Mieter wichtig. Die acht Zimmer der WG sind individuell geschnitten – und können mit eigenen Möbeln eingerichtet werden. Die Gemeinschaftsräume, der Garten und die vier Badezimmer teilen sich die Bewohner untereinander auf oder nutzen sie gemeinsam.

Jeder beginnt den Tag auf seine eigene Weise: Haberts als Erster um 6.15 Uhr mit dem Anfeuern des Kamins und Wilken deutlich später, nach dem Besuch ihres Pflegedienstes. Nach und nach treffen alle Senioren im Gemeinschaftsbereich ein. „Wir kommen morgens zusammen und frühstücken zusammen“, erklärt Praßel. Obwohl im Anschluss jeder seines Weges gehen könnte, tun die Bewohner es nicht. „Das ist immer total schön“, berichtet Sabrina Gerdes lächelnd. „Sie sitzen zusammen und schnacken von früher.“ Praßel, Lange und Haberts haben vorher lange allein gelebt. „Viele, die hier einziehen, sagen vorher: Sie sind Einzelgänger“, sagt Kulke mit einem wissenden Lächeln. „Die Umstellung ist mir schon schwergefallen“, gibt Lange zu. Jetzt aber sind sich alle Mitbewohner einig: Auf ihre Gemeinschaft verzichten möchte niemand mehr.

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