Serie Beziehungskiste Alkoholsucht in der Familie – das können Angehörige tun

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Von Ute Nobel
| 18.01.2024 10:32 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Hin und wieder ein Glas Wein zum Essen, dagegen spricht eigentlich nichts. Wer jedoch täglich Alkohol trinkt, könnte ein Suchtproblem haben. Foto: Pixabay
Hin und wieder ein Glas Wein zum Essen, dagegen spricht eigentlich nichts. Wer jedoch täglich Alkohol trinkt, könnte ein Suchtproblem haben. Foto: Pixabay
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Linda aus dem Emsland macht sich Sorgen um ihre Tante, die augenscheinlich ein Alkoholproblem hat. Allgemeinmediziner Sandro Cotterli gibt Rat, wie Angehörige Suchtkranken helfen können.

Emsland/Detern - Leser fragen, Experten antworten: in unserer Serie Beziehungskiste. Linda (Name der Redaktion geändert), 20 Jahre alt, aus dem Emsland hat sich mit einem familiären Problem an uns gewandt: „Meine Tante hat früher nur sehr selten Alkohol getrunken, mittlerweile öffnet sie sich schon zum Mittag eine Flasche Wein. Sie hat in den letzten Jahren viel durchgemacht, trotzdem mache ich mir langsam Sorgen.“ Landarzt Sandro Cotterli möchte Linda helfen und schildert, wie schwer es für Angehörige von alkoholkranken Menschen ist, mit dieser Situation umzugehen und wie sie sich verhalten sollten.

Antwort von Allgemeinmediziner Sandro Cotterli

Hallo Linda, das klingt nach einer sehr schwierigen Lage. In unserer Praxis ist das auch für uns eines der schwersten Themen. Alkohol als legale Droge ist bedauerlicherweise immer noch ein großes Problem in unserer Gesellschaft. Es gibt viele Erklärungen, warum man dem Alkohol verfällt. Eine tägliche Einnahme ist immer auffällig und sollte angesprochen werden. Aus den Zeilen lese ich ja auch heraus, dass Deine Tante seit einigen Schicksalsschlägen vermehrt trinkt.

Das Schwierigste an dieser Situation ist wohl, dass die Grundvoraussetzung für eine Therapie der Wunsch und die Einsicht des Kranken sein muss. Und das kann man nicht erzwingen. Überredungskünste bringen einen dort nicht weiter. Man sollte offen die eigenen Sorgen ansprechen. Reden ist immer der erste und wichtigste Schritt. Wenn die betroffene Person zur Erkenntnis kommt, dass sie Hilfe benötigt, ist der Gang zur Hausärzt*in, die ja eine vertraute Person darstellt, die beste weitere Etappe. Mit ihm/ihr kann dann der körperliche Entzug eingeleitet werden. Das ist meist ein kurzer stationärer Aufenthalt von sieben bis zehn Tagen. Danach muss ein gutes Netzwerk zu Hause geschaffen werden aus Suchtberatung, Selbsthilfegruppe und Unterstützung durch Familie und Freunde. Im nächsten Schritt erfolgt dann in der Regel eine Langzeittherapie mit erneuter längerer stationärer Therapie.

Niemand hat Schuld

Selbst wenn alles gut verläuft, beträgt die Rückfallquote 40 bis 60 Prozent. Daran hat niemand Schuld. Die Gründe für eine Sucht sind meist tiefgründig und schwerwiegend. Vorwürfe und Selbstvorwürfe bringen nichts. Viel Geduld und ein hoffentlich erneuter Versuch helfen weiter. Das schwierigste für die Angehörigen ist die Phase, in denen die Betroffenen noch nicht bereit sind für eine Therapie. Hier muss man Kraft und Geduld haben, denn man sieht, wie die Betroffenen sich weiter etwas Schlimmes antun und niemand kann etwas unternehmen. Dieses kann auch bis hin zu gesundheitlichen Konsequenzen und/oder dem Ableben, im schlimmsten Fall, führen. Aber ohne die Erkenntnis, dass man Hilfe benötigt und ohne Behandlungswunsch ist man recht machtlos.

Es gibt glücklicherweise Selbsthilfegruppen für Angehörige. Einige Gemeinden haben Sozialarbeiter, an die man sich wenden kann. Auch ist die Drogenberatungsstelle (Drobs) in Leer (Telefon 0491/2400) immer eine gute Anlaufstelle, auch für Angehörige. Es gibt, wie schon erwähnt, viele Erklärungen, warum man dem Alkohol verfällt. Es ist eine Krankheit.

Ich hoffe, das Gespräch mit Deiner Tante verläuft gut und sie nimmt Hilfe in Anspruch.

Sandro Cotterli

Allgemeinmediziner Sandro Cotterli. Foto: privat
Allgemeinmediziner Sandro Cotterli. Foto: privat

Sandro Cotterli ist nach eigenen Angaben Landarzt aus Leidenschaft. „Deswegen ist die ganzheitliche Betrachtung des Menschen meine tägliche Aufgabe“, sagt er. Er hat eine eigene Praxis in Detern, davor war er als Arzt in der Ammerlandklinik tätig. „Der enge Kontakt mit Menschen und das Begleiten von kurz nach der Geburt bis hin zum Tod und aller Lebenslagen dazwischen ist die Erfüllung meiner Arbeit“, sagt Cotterli. Auf die neue Serie sei er gespannt. „Ich freue mich auf eine etwas andere Art, mit Menschen in Kontakt zu treten und eventuell hierrüber mit Rat zur Verfügung zu stehen.“

Beziehungskiste

So sehr wir uns auch wünschen, dass es in Beziehungen immer harmonisch läuft: In der Realität kriselt es eben doch immer mal wieder im Zusammenleben mit anderen Menschen.

Hier wollen unsere Experten in der Serie Beziehungskiste helfen. Habt Ihr Fragen oder Konflikte, für die Ihr einen Rat sucht? Oder benötigt ihr einen Rat für einen Freund oder eine Verwandte? Die gestellte Frage besprechen wir dann mit einem der Experten und veröffentlichen Frage und Antwort (wenn gewünscht auch anonymisiert) jeden Mittwoch in unserer Zeitung und auf unseren Webseiten. Alle Zuschriften werden selbstverständlich sensibel behandelt. Schreibt uns gerne an beziehungskiste@zgo.de oder stellt Eure Frage ganz einfach hier:

Das ist unser Expertenteam:

  • Sandro Cotterli – Landarzt aus Detern
  • Gwendolyn Stoye – Paartherapeutin aus Leer
  • Sonja Saathoff – Diplom-Sozialarbeiterin/-pädagogin aus der Krummhörn
  • Kai-Timo Hanses – Rechtsanwalt aus Leer
  • Luca Leander Wolz – angehender Psychologe aus Osnabrück, gebürtiger Emder

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