75 Jahre OZ Was Redakteure im Alltag so alles erleben
Die OZ wird 75 Jahre alt – ein Anlass für die Redaktion, auf kuriose Erlebnisse zurückzublicken. Was es mit dem Lineal an der Kehle, dem Zeugen „Charly“ und der „blöden Kuh“ am Telefon auf sich hat.
Ostfriesland - Wenn eines wirklich nicht langweilig wird, dann ist es der Arbeitsalltag in einer Redaktion. Das 75. Jubiläum der OZ ist Anlass für einige Redakteurinnen und Redakteure, auf besonders kuriose Erlebnisse zurückzublicken:
Was ich als junger Reporter als Erstes lernen musste
von Lars Reckermann
Zeitungsredaktionen waren schon immer ein Hort von Hektik und Stress. Als ich Mitte der 90er Jahre meinen ersten Tag in einer Zeitungsredaktion hatte, war es sehr, sehr laut. Jede Kollegin und jeder Kollege rauchte mindestens zwei Zigaretten gleichzeitig und, weil es Mails und das Internet noch nicht gab, klingelten überall Telefone. Getrunken wurde auch, aber dazu später mehr.
Meinen ersten Tag verbrachte ich in der Politikredaktion. Ich war schwer beeindruckt, bis ich einen Kollegen am Telefon hörte, wie er eine Frau anschrie. Immer wieder brüllte der Kollege unglaublich laut in den Hörer. „Blöde Kuh, können sie nicht langsamer sprechen?“ „Das habe ich nicht verstanden, das kann bei ihrer Aussprache auch niemand verstehen…“ Er hatte dabei einen knallroten Kopf und hielt den Hörer schon nicht mehr an Ohr und Mund, sondern keifte nur in die Sprechmuschel, als ob er ein Mikrofon in der Hand hielte. Mein Ausbildungsredakteur bemerkte meine Unsicherheit, zog mich beiseite und erklärte mir, der Kollege erfrage gerade beim Wetterdienst die aktuellen Wetterdaten für den folgenden Tag. Ich entgegnete, so spreche man doch nicht mit Menschen. Darauf mein Ausbilder: „Macht er auch nicht, die Ansage kommt von Band.“
Am Abend meines ersten Tages sollte ich noch für die Kolleginnen und Kollegen eine „Tüte Gemischtes“ holen. So trug man es mir auf. Also lief ich in den Supermarkt und holte einen Berg Süßigkeiten. Schließlich wollte ich einen guten Eindruck machen. Als ich die Leckereien auf dem Redaktionstisch verteilte, schauten mich die anderen merkwürdig an. Was das denn sei, wollten sie wissen. „Na eine Tüte Gemischtes“, sagte ich und fragte mich angesichts der Opulenz dieses Gabentisches, welche Süßigkeit ich denn vergessen haben könnte. Erneut nahm mich mein Ausbildungsredakteur zur Seite. „Eine Tüte Gemischtes ist hier eine Kiste Bier, halb Pils, halb Export.“ Am Tag 2 meiner Ausbildung habe ich dann Zeitungmachen gelernt.
Die Nudel haftet an der Autorin wie im Loriot-Sketch
von Vera Vogt
Es grenzt oft an eine Nahtoderfahrung, wenn man als Radfahrer von einem Auto überholt wird. Dass eine Berichterstattung mir darüber jahrelang – ja, jahrelang – nachhängen würde, hatte ich nicht kommen sehen. In Toronto hatten sich Leute Poolnudeln ans Rad geklemmt, die messen nämlich 1,50 Meter und genau diesen Abstand sollten Autofahrer halten. Hardliner haben auch Eisenstangen genommen, aber das wäre für einen Test wohl etwas zu rabiat gewesen. Als Volontärin musste – pardon, durfte – ich die Poolnudel-Sache nämlich testen. Seither verfolgt es mich. Bei Terminen hieß und heißt es: Sie sind doch die mit der Poolnudel am Fahrrad. Es war nicht meine Nudel, es war nicht mein Fahrrad, nicht mal meine Idee. Und doch ist Nudel-Gate seit 2019 (!) so untrennbar mit meiner OZ-Vita verbunden, dass ich immer wieder staune.
Die Nudel haftet an mir wie im bekannten Loriot-Sketch. Ich habe irgendwann aufgehört, mich darüber zu wundern, welchen bleibenden Eindruck das Schwimmgerät auf Menschen gemacht hat. Vielleicht war es der Umstand, dass die Poolnudel komödiantisch traurig herunterhing, vielleicht auch einfach der Begriff selbst, der irgendwie hängen bleibt. Die Nudel bleibt, bis der Gag komplett durchgenudelt ist. Nicht nur Loriot hat sie verarbeitet, auch in der Internetkultur ist das Loblied auf die Nudel von Peter Ludolf ein absoluter Klassiker: „Man kann Nudeln machen warm, man kann Nudeln machen kalt.“ Man kann Nudeln eben auch ans Fahrrad machen. Aber nur, wenn man davon die nächsten sechs Jahre hören möchte.
Wie ein Gastwirt uns heimlich bei der Arbeit filmte
von Daniel Noglik
Während der Hochphase der Corona-Pandemie berichteten wir vor etwa fünf Jahren über ein ostfriesisches Restaurant, nach dessen Wiedereröffnungsfeier es zu einem der größten Corona-Ausbrüche in der Region kam: Rund 200 Menschen mussten in Quarantäne, zwei Personen verstarben. Im Mittelpunkt unserer Recherchen stand damals der Gastwirt, der – wie sich später herausstellen sollte – den Gastrobetrieb wegen seiner Vorstrafen gar nicht hätte führen dürfen. Soweit, so normal für eine Recherche. Doch dann wurde es kurios.
Ein Fernsehsender drehte anlässlich unserer Recherchen eine Dokumentation über den Lokaljournalismus und filmte mit mir zusammen auch das Restaurant von außen. Was wir nicht ahnten: Der Wirt hatte sich drinnen versteckt und filmte und fotografierte uns heimlich bei der Arbeit. Offenbar dachte er sich: „Jetzt drehe ich den Spieß um!“ Kurz darauf erhielt ich eine E-Mail mit Fotos und Videos von uns – samt der unterschwelligen Drohung, das Material an die Behörden zu schicken, weil wir angeblich den Corona-Mindestabstand nicht eingehalten hätten. Natürlich waren wir negativ getestet, und im beruflichen Kontext war das Unterschreiten des Mindestabstands erlaubt. Zu befürchten hatten wir also nichts.
Trotzdem: So einen Einschüchterungsversuch habe ich in meiner Laufbahn bisher nur einmal erlebt – und das reicht mir auch. Die Fotos und Videos verschwanden im digitalen Nirwana, aber die Geschichte bleibt: als Erinnerung daran, wie schnell man im Journalismus selbst in den Fokus rücken kann – und wie kurios unser Alltag manchmal ist.
75 Jahre OZ
Zum Jubiläum der OZ gibt es an diesem Sonnabend, 1. November 2025, eine Sonderbeilage in der gedruckten OZ und auch im E-Paper. Die Anekdoten aus der Redaktion erscheinen dort – und noch vieles mehr: weitere Geschichten zum Schmunzeln, Einblicke hinter die Kulissen eines modernen Medienhauses, Grußworte von Prominenten wie dem Bundeskanzler und dem Bayern-Chef, Leserfotos. Abonnenten der OZ erhalten die Jubiläumsbeilage mit ihrer gedruckten Zeitung oder als E-Paper. Sie liegt auch den Zeitungen bei, die im Handel verkauft werden. Einen Überblick über die Abo-Angebote der OZ gibt es hier.
Wie ich einmal im Gericht das Opfer spielte
von Karin Lüppen
Einen großen Teil meines Reporterlebens habe ich in Gerichtssälen verbracht. Verfahren um schwere Verbrechen und kleine Gaunereien habe ich mit einer gewissen Faszination für die Untiefen menschlichen Verhaltens verfolgt, das gebe ich zu. Oft war ich erschüttert, wie vollkommen sinnlos Gewalt fast immer ist. So war es in einem Fall um den Tod einer Frau in einer Sozialunterkunft, bei dem ich mich auf einmal in der Rolle des Opfers fand.
Die Beweisaufnahme war kompliziert, weil es mit dem Erinnerungsvermögen der Beteiligten alkoholbedingt nicht weit her war. Der Frau wurde die Kehle durchgeschnitten. Aber die Angaben des Angeklagten, die Spurenlage und andere Aussagen passten nicht zusammen. Der Angeklagte wollte das Messer mit dem Rücken – der stumpfen Seite – an den Hals der Frau gesetzt haben, dann irgendwie abgerutscht sein.
Die Strafkammer am Landgericht musste prüfen, ob das tatsächlich so passiert sein konnte. Damals pflegten die Richter mit den Reportern einen lockeren Umgang. Wir tranken in den Pausen gemeinsam Kaffee, man kannte sich. Deshalb schwante mir nichts Gutes, als der Vorsitzende Richter vorschlug, die Sache nachzustellen und nach seinem Lineal griff. Er wollte damit den Täter spielen. „Wir brauchen eine Frau, etwa 1,70 groß“, sagte er. Nun, es gab keine andere. Zur Erheiterung des Kollegen am Pressetisch stapfte ich nach vorne.
Der Richter gab sich alle Mühe, es realistisch darzustellen. Alle Varianten kamen dran: Er packte mich von hinten, riss an den Haaren meinen Kopf nach hinten und hielt mir das Lineal mal von rechts, mal von links an die Kehle. Später gab er zu, mich bewusst überrumpelt zu haben. Ob es der Wahrheitsfindung diente? Das hoffe ich sehr!
Von Sonntagsbraten und „Charly“
von Petra Herterich
Meine kuriosesten Erlebnisse als Redakteurin hatte ich in Ostfriesland immer in Sälen. Nein, nicht in Tanz- oder Partysälen, sondern in Sälen, in denen es eigentlich immer ernsthaft zugeht.
Im Operationssaal: Vor Jahren durfte ich mal bei einer Operation dabei sein. Vorher war ich von Ärzten gewarnt worden: „Du kannst vielleicht alles sehen ohne, dass dir schlecht wird, aber nicht alles riechen.“
Also hatte ich ein mit 4711 getränktes Taschentuch dabei. In OP-Kleidung stand ich in angemessenen Abstand hinter Ärzten und OP-Schwestern. Zwischen deren Rücken konnte ich einen kleinen Blick auf die OP am Bein des Patienten werfen. Der Arzt arbeitete mit dem Elektrokauter – einem Gerät, das eine durch Strom erhitzte Drahtschlinge nutzt, um Blutgefäße zu verschließen oder zu schneiden.
Es stiegen ganz kleine Rauchwölkchen auf. „Riecht wie verschmorter Sonntagsbraten“, stellte der Mediziner trocken fest. In der Tat, exakt genauso roch es. Eigentlich ganz lecker, das Taschentuch hab ich nicht gebraucht. Aber seither kann ich keinen Braten mehr zubereiten oder essen, ohne an dieses offene Bein zu denken.
Im Gerichtssaal: Es ging um ein Tötungsdelikt. Und es war mein erster großer Prozess in Ostfriesland. Ich hatte die Liste der Zeugen genau studiert. Doch in der Verhandlung ging es immer wieder um „Charly“. Nur wegen dem habe der Streit angefangen, der sei schuld, dass es überhaupt soweit gekommen sei. Ich war verwirrt: Wieso war „Charly“ nicht als Zeuge geladen? Es hat eine ganze Weile gedauert bis ich kapiert hatte, dass „Charly“ eine Mische aus Cola und Weinbrand ist. Probiert habe ich das bis heute nicht – ehrlich.