Religion In Ostfriesland gibt es immer mehr Kirchenaustritte

| | 04.04.2024 07:01 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Auch in Ostfriesland häufen sich Kirchenaustritte, die Gründe sind vielfältig. Symbolfoto: Stratenschulte/dpa
Auch in Ostfriesland häufen sich Kirchenaustritte, die Gründe sind vielfältig. Symbolfoto: Stratenschulte/dpa
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Es ist ein bundesweiter Trend, der sich auch in der Krummhörn bemerkbar macht: Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken zu. Wir haben mit einem Suurhuser Pastor über die Gründe gesprochen.

Krummhörn - Die evangelischen Kirchen in Deutschland zählten im Jahr 2022 bundesweit 19.150.000 Mitglieder. Das geht aus Statistiken der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hervor. Die Zahlen für das abgelaufene Kalenderjahr werden Ende des Monats veröffentlicht, doch es zeichnet sich bereits ein Trend zu mehr Kirchenaustritten an, und das auch schon seit längerer Zeit. Bereits im Jahr 2021 waren erstmals weniger als 50 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung Mitglied bei einer der zwei großen deutschen Kirchen, der katholischen und der evangelischen Kirche.

Laut einer Pressemitteilung der evangelisch-reformierten Kirche vom vergangenen März habe sich die Mitgliederzahl im Jahr 2022 um 1,9 Prozent verringert. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Mitgliederzahl bundesweit um 3139 Mitglieder auf 159.309 Mitglieder in 143 Kirchengemeinden. Damit steht die evangelisch-reformierte Kirche im Vergleich zu den anderen evangelischen Kirchen bundesweit noch gut da. Der Mitgliederverlust liegt unter dem bundesweiten Durchschnitt aller evangelischen Kirchen, dieser liegt bei 2,9 Prozent. Dennoch stieg die Zahl der Kirchenaustritte in Ostfriesland in den vergangenen Jahren eher an, sagt Ulf Preuß, Pressesprecher der evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer, auf Nachfrage.

Evangelisch-reformierte Kirche Spitzenreiter in der Krummhörn

Auch in der Krummhörn liegen Kirchenaustritte im Trend. 134 Kirchenaustrittserklärungen verzeichnete die Gemeinde im Jahr 2023. Das sei ein Allzeithoch, sagte Wolfgang Beek vom Bürgerservice bei der Vorstellung der Zahlen beim Jahrespressegespräch Anfang März. Von den 11.905 Einwohnern der Krummhörn, die im Jahr 2023 in der Einwohnerstatistik erfasst wurden, sind demnach 5114 evangelisch-reformiert. Damit stellt dieser Kirchenverband die größte Glaubensgemeinschaft in der Gemeinde Krummhörn dar, gefolgt von 3580 Menschen ohne Konfession oder ohne Angabe und 2191 Menschen mit evangelisch-lutherischem Glauben.

Doch trotz dieses starken Auftretens in der Gemeinde verliert die evangelisch-reformierte Kirche auch in der Krummhörn immer mehr Mitglieder. Pastor Frank Wessels kennt die Problematik. Seit 2003 ist er der Pastor der benachbarten Kirchengemeinde Suurhusen-Marienwehr. Im Jahr 2018 wurde er von der Synode Nördliches Ostfriesland, also dem Gremium der Kirche in der Region, zum Präses gewählt. Damit bildet er den Vorstand der Synode und weiß, dass es für die Kirche in den vergangenen Jahren nicht immer leicht war.

Frank Wessels ist Pastor in Suurhusen und Präses des Synodalverbands Nördliches Ostfriesland. Foto: Weiden/Archiv
Frank Wessels ist Pastor in Suurhusen und Präses des Synodalverbands Nördliches Ostfriesland. Foto: Weiden/Archiv

Vertrauensbruch durch Missbrauchsskandal

Die Mitgliederzahlen in seiner Gemeinde in Suurhusen seien stabil, so Wessels. Dennoch machen sich die Skandale und Herausforderungen, mit denen die Kirche konfrontiert ist, auch bei ihm bemerkbar. Einen sehr großen Einfluss auf den Stand der Kirche auch in Ostfriesland hatte der aktuelle Missbrauchsskandal, sagt Wessels. Die Aufarbeitung dieser Fälle liege der evangelisch-reformierten Kirche am Herzen, die Kirche habe eine Studie veranlasst, um die Thematik bewusst ans Licht zu bringen. Am 25. Januar 2024 wurden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Studien zu sexualisierter Gewalt und Missbrauch in der evangelischen Kirche vorgestellt. „Sexualisierte Gewalt gehört zur Realität unserer Kirche und unserer Diakonie. Diese Einsicht nimmt uns in die Pflicht. Wir übernehmen die Verantwortung“, hieß es damals von den Kirchleitungen der 20 Landeskirchen.

In Suurhusen sind die Mitgliederzahlen noch relativ stabil, sagt Pastor Frank Wessels. Foto: dpa/Archiv
In Suurhusen sind die Mitgliederzahlen noch relativ stabil, sagt Pastor Frank Wessels. Foto: dpa/Archiv

Diese Erkenntnis hatte Folgen: „Natürlich hat das zu Austritten geführt, gewisserweise auch zu Recht“, sagt Wessels. Die Taten seien abscheulich gewesen und hätten sicher viele Kirchenmitglieder schwer enttäuscht. Nun gehe es vor allem darum, das Vertrauen der enttäuschten Kirchenmitglieder wieder zu gewinnen. „Das ist unsere einzige Chance“, so Wessels. Eine abgesprochene Strategie, um dieses Ziel zu erreichen, gebe es aber nicht. „Wir müssen einfach probieren, durch unsere alltägliche Arbeit vor Ort das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.“

Inflation und Kirchensteuer

Aber die offengelegten Missbrauchsfälle sind nicht die einzigen Faktoren, die zur Minderung der Kirchenmitglieder geführt haben. Immerhin sei die Studie dazu erst zu Beginn des Kalenderjahres 2024 veröffentlicht wurden, während die Mitgliederzahlen schon seit langer Zeit stetig abnehmen, wie Wessels erklärt. Ein weiterer Grund sei die prekäre wirtschaftliche Situation. Generell war das Jahr 2023 von der Inflation geprägt. „Familien müssen dann den Gürtel enger schnallen und schauen, an welchen Stellen sie noch etwas einsparen können. Da fällt die Wahl dann oft auf die Kirchensteuer“, sagt Wessels. Die Kirchensteuer wird proportional zur Einkommenssteuer gezahlt und beträgt in Niedersachsen immerhin neun Prozent.

In Ostfriesland käme noch erschwerend hinzu, so Wessels, dass die Region strukturschwach sei. Viele junge Leute ziehen weg, um in anderen Regionen zu arbeiten und zu leben. Und viele kämen auch nicht mehr zurück. Damit fehlen der Kirche hier vor allem junge Mitglieder. Dies lässt sich auch mit dem allgemeinen demografischen Wandel erklären. „Wesentlicher Grund für den Rückgang ist, dass jedes Jahr die Zahl der Sterbefälle höher ist als die Anzahl der Menschen, die durch ihre Taufe oder einen Kircheneintritt neu hinzukommen“, bestätigt auch Pressesprecher Ulf Preuß dieser Zeitung.

Neue Mitglieder durch Taufeinladung

Diesem Problem möchte die Kirche Abhilfe verschaffen und hat deshalb im vergangenen Jahr eine Taufkampagne ins Leben gerufen. So soll die Kirche auch für junge Familien wieder interessant werden. Die Kampagne läuft unter dem Namen #tauffrisch und vermittelt Eltern wichtige Informationen rund um die Taufe ihres Kindes. „Wenn mindestens ein Elternteil Mitglied der evangelisch-reformierten Kirche ist, dann bekommen sie von uns ein kleines Geschenk und eine Einladung zur Taufe“, sagt Wessels. Ein bisschen Wirkung zeige die Initiative bereits.

Die größte Chance, um den zunehmenden Kirchenaustrittserklärungen entgegenzuwirken, sieht Wessels nach wie vor in der Beziehungsarbeit. Es stellt sich immer wieder heraus, dass vor allem die Beziehungspflege zwischen Kirche und Mitgliedern von zentraler Bedeutung ist, sagt er. Der persönliche Kontakt sei einfach durch nichts zu ersetzen. „Wir wollen zeigen, dass wir Gutes für die Menschen anbieten.“

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